Deppen-Apostroph (z. B. Flo´s Forum) legal


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Abgeschickt von Paste Copy am 28 Januar, 2004 um 15:35:51:

SPIEGEL ONLINE - 27. Januar 2004, 20:25
URL: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,283728,00.html

Zwiebelfisch

Deutschland, deine Apostroph's

Von Bastian Sick

Über dem hölzernen Kahn prangte in grellen Neonbuchstaben der Schriftzug "Noah's Arche". Und sie kamen alle: Petra's Hamster, Susi's
Meerschweinchen, Indien's Elefanten, Australien's Känguru's, selbst Marabu's und Kolibri's. Sie flohen vor dem alles verheerenden
Häk'chen-Hagel. Doch es war zu spät: Die Welt versank, und übrig blieb am Ende - nicht's

Zähneknirschend nahm man es hin, dass im trüben Fahrwasser der Rechtschreibreform mit einem Mal "Helga's
Hähncheneck" und "Rudi's Bierschwemme" höchste Weihen erhielten und offiziell sanktioniert wurden. Der von vielen
gescholtene so genannte Deppen-Apostroph war über Nacht salonfähig geworden. Nun ja, vielleicht noch nicht
salonfähig, aber zumindest imbissbudenfähig. Wenn Oma morgens ihr kleines Restaurant aufschließt und die Beleuchtung
einschaltet, braucht sie sich nicht mehr zu schämen, dass draußen die mondäne Aufschrift "Oma's Küche" prunkt. Stolz
erhobenen Hauptes kann sie sagen: "Was habt ihr denn? Ist doch richtig so! Steht sogar im Duden's!"

Tatsächlich: dort - wie auch in anderen Standardwerken zur deutschen Sprache - heißt es in Übereinstimmung mit den
neuen amtlichen Regeln: "Gelegentlich wird das Genitiv-s zur Verdeutlichung der Grundform des Namens auch durch einen
Apostroph abgesetzt."

Man beachte die Wortwahl: Gelegentlich. Das klingt wie: "Einige können es eben nicht lassen." Und um sein Unwohlsein noch deutlicher zum
Ausdruck zu bringen, fügt der Duden fast trotzig an: "Normalerweise wird vor einem Genitiv-s kein Apostroph gesetzt."

Ach ja, die gute alte Normalität! Als "Clarissa's Hairstudio" noch "Frisörsalon Lötzke" hieß - wo ist sie hin?

"Man sieht sich immer zweimal!", weissagte der sächsische Genitiv nicht ohne Häme, als er sich anschickte, im Gefolge
der Angeln und Sachsen nach Britannien auszuwandern. Er sollte Recht behalten. Er kehrte zurück - und wie! Doch
kurioserweise nicht aus dem Westen (wo man allgemein den Ursprung aller Anglizismen vermutet), sondern aus dem
Osten. Denn im Zuge der deutsch-deutschen Wiedervereinigung schwappte die im Osten bereits weit verbreitete
Apostroph-Euphorie ("Erich's Broiler-Paradies") auch in den Westen - und schwappt seitdem gesamtdeutsch hin und her,
vorzugsweise durch die seichten Niederungen des "Internet's".

"Seither hat sich dieser Genitiv, der bis dahin bei Beck's Bier und ein paar vergleichbaren Labels ein leise belächeltes
Exotendasein geführt hatte, wie die Schwarzen Blattern ausgebreitet", stöhnte die "Süddeutsche Zeitung" in einem
"Streiflicht" im Jahre 1998.

Nun, es scheint, als müssten wir mit diesen Blattern leben. Wir haben uns an Phänomene wie Modern Talking und die "Oliver Geissen Show" gewöhnt
und an Wörter wie "Airline", "Basement" und "Lifestyle" (Wer sagt schon noch Fluglinie, Untergeschoss und Lebensart?), also werden wir auch damit
fertig.

Doch es ist wie immer im Leben: Kaum hat man sich mit dem einen Schicksalsschlag abgefunden, da zieht schon die
nächste Katastrophe herauf. Mit erschreckender Geschwindigkeit breitet sich eine neue, noch schlimmere
Apostrophenpest in Deutschland aus. Befallen ist diesmal nicht der Genitiv, sondern der Plural.

Plötzlich liest man überall von "Kid's" und "Hit's" und wird permanent mit "Info's" bombardiert. Zunächst konnte man noch
vermuten, dass diesem Kuriosum eine schlichte Verwechslung zugrunde liegt, zumal hauptsächlich aus dem Englischen
stammende Wörter betroffen sind: Womöglich war das Plural-s für ein Genitiv-s gehalten worden.

Doch inzwischen werden auch andere Begriffe zer-apostrophiert: Der Obsthändler an der Ecke verkauft neuerdings Mango's und Kiwi's, die
Anzeigenblätter im Briefkasten werben für günstige Caravan's, Kombi's und extra dicke Pizza's, man staunt über die Vielzahl von Tee's auf der
Getränkekarte, ersteigert auf eBay modische Accessoire's, überrascht einander mit lustig bedruckten T-Shirt's, die Kid's entpuppen sich als Mädel's
und Jungen's, und wem mit Tee's nicht gedient ist, der bestellt Kognak's oder Martini's. Im Hotelzimmer schaut man sich später ein paar Video's an,
und bezahlt wird das Ganze selbstverständlich in Euro's, und zwar bar, denn an vielen Kassen werden keine Scheck's angenommen.

Halten Sie's noch aus, oder müssen Sie schon wegschauen? Es kommt noch schlimmer:

Gar keine Aussicht auf Rettung besteht mehr für Abkürzungen. Lastkraftwagen (kurz: Lkw, auch in der Mehrzahl) sind zu "LKW's" geworden,
Personenfahrzeuge werden entsprechend "PKW's" abgekürzt, und immer wieder stolpert man über "CD's" und "DVD's".

Liest man in der Sauna den Hinweis "Kein Schweiß auf's Holz", so brennt es einem in den Augen. Ebenso beim Anblick von
Läden, die "Alles für's Kind" anbieten. Zwar ist der Apostroph hier überflüssig, aber immerhin scheint sich der
Schildermaler noch was dabei gedacht zu haben. "Eigentlich heißt's ja 'auf das Holz' und 'für das Kind', da mach' ich
vorsichtshalber mal 'n Apo-dingsda, na, so'n Häkchen halt", wird er sich gesagt haben - und schon war's passiert. Lästig,
aber lässlich. Aber viele Menschen setzen den Apostroph bereit's auch dort, wo gar nicht's ausgelassen wurde. Da!
Haben Sie es bemerkt? Ist Ihnen nicht's aufgefallen? Dann schauen Sie mal nach recht's! Und dann noch mal nach link's!
Merken Sie es jetzt?

Manche Deutsche scheinen von der Vorstellung besessen, dass generell jedes "s" am
Wortende apostrophiert werden müsse. Als sei das Endungs-s eigen's dafür geschaffen, vom
Wortstamm abgespalten zu werden. Dabei geht die Tendenz in der Standardsprache genau in
die entgegengesetzte Richtung: Nicht immer mehr, sondern immer weniger Apostrophs empfiehlt die neue amtliche
Regelung. "Ich sing' ein Lied" und "Mir geht's gut" kann, darf oder sollte heute "Ich sing ein Lied" und "Mir gehts gut"
geschrieben werden.

Doch die Gemeinde der Neu-Apostrophiker wächst und wächst. Sie setzt den Apostroph stet's und überall, nirgend's ist man noch vor ihm sicher.
Und weil das abgespaltene Endungs-s manchen noch nicht reicht, machen sie das Häkchen auch vor "z" und "n" und überhaupt vor allem, was am
Wortende steht. Schon wurden an mehreren Stellen in Deutschland Schilder mit der Aufschrift gesichtet: "Futter'n wie bei Mutter'n". Ist das moder'n
- oder einfach nur depper't? Wohin soll uns das noch führen? Droht uns die totale Apostrophe? Der alles verheerende Häk'chen-Hagel? Oder stecken
wir schon mittendri'n? Na dann Pros't!



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